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Anonymer Anrufer vom Tegernsee
Was es mit einem macht, wenn jemand am anderen Ende der Leitung sagt: "Hier ist Uli Hoeneß"
Schon eine Woche bevor es passiert, berühren sich zum ersten Mal zwei Welten. Beim zweiten Mal werde ich in einem Café sitzen und in die zarte Mittagssonne blinzeln, als plötzlich mein Handy klingelt. Doch dieser Anruf hat eine Vorgeschichte, und diese Vorgeschichte ist mindestens kurios. Man könnte sie wahrscheinlich auch absurd oder sonderbar nennen, aber ich will natürlich niemandem zu nahe treten. Schon gar nicht ihm: Uli Hoeneß.
Wer ein Anliegen an ihn hat, das ist die Vorgeschichte, der muss Ulrich Hoeneß auch noch im Jahr 2023 ein Fax schicken. So war das früher, als die Bayern noch „Magirus Deutz“ auf der Brust trugen – und so ist es heute immer noch.
Mittlerweile, so finde ich heraus, kann man ein Fax auch über das sogenannte Internet verschicken. Es ist nicht kompliziert, man braucht eigentlich nur die Faxnummer und ein Dokument, in dem man sein Anliegen darlegt. Die Nummer erfrage ich bei einem Reporter-Kollegen, dann setze ich ein paar Zeilen auf, schreibe meine Nummer dazu und biete ein paar Zeitfenster an, in denen ich am besten zu erreichen bin. Erst kurz vor dem Versand merke ich, Jahrgang 1993, dass ein Fax in aller Regel schwarz-weiß ist. Die Mühe, die ich in einen optisch ansprechenden Briefkopf gesteckt habe, hätte ich mir also sparen können. Ich bezahle das Fax – und da treffen zum ersten Mal zwei Welten aufeinander – mit dem Guthaben auf meinem PayPal-Konto und schicke es ab. Nun beginnt eine Wartezeit, die sich über Tage hinzieht und mir wie Wochen vorkommt.
Ich will andere nicht mit meinem Lärm belästigen, wenn ich im Zug sitze oder im Supermarkt vor dem Regal stehe, deshalb ist mein Handy in aller Regel stumm geschaltet, doch für den Anruf von Hoeneß stelle ich es laut. Der erste Tag vergeht, der zweite, auch am dritten und vierten Tag nach dem Fax tut sich nichts. Jedes Mal wenn mein Handy klingelt, geht der Puls zwar ruckartig hoch, doch es ist höchstens meine Krankenkasse, die mir erklärt, warum ich mit der E-Mail, die ich geschickt habe, bei ihr an der falschen Adresse bin – oder einer meiner Freunde, der mir sagt, wann er mich fürs Fußballtraining abholt.
An Tag fünf ruft er plötzlich an.
Es ist ein Freitagvormittag, ich habe mich mit zwei Kumpels auf einen Kaffee getroffen, und auf einmal meldet sich Uli Hoeneß, wie es sonst nur einer meiner besten Freunde tut, weil er als Lehrer arbeitet und deshalb hin und wieder mit den Eltern seiner Schulkinder telefonieren muss. Er will nicht, dass er jederzeit zurückgerufen werden kann, sonst würde er am Ende ja allen Ernstes doch noch nach 13 Uhr arbeiten müssen. Aber das ist ein anderes Thema. An jenem Freitagvormittag ist Uli Hoeneß jedenfalls das, was für mich sonst nur mein Kumpel ist: ein Anrufer, der sich hinter „anonyme Nummer“ verbirgt.
Irgendwie ist es ein surrealer Augenblick, wenn Uli Hoeneß, der Geburtshelfer des FC Bayern, das Hirn und Herz des mit Abstand erfolgreichsten deutschen Fußballvereins auf einmal bei mir anruft: Sebastian Leisgang, geboren in Lohr, aufgewachsen in Burgsinn, mittelmäßig talentiert im Umgang mit einem Ball und mit Abstand am erfolgreichsten darin, Anrufe zu verpassen. Mein Handy ist ja immer stumm.
Das ist also der zweite Moment, in dem zwei Welten aufeinandertreffen. Und vermutlich bin ich nicht der Einzige, der das weiß. „Hallo Herr Leisgang, hier ist Uli Hoeneß“, sagt der Mann am anderen Ende der Leitung und legt dann eine kurze Pause ein. Wahrscheinlich genießt er diesen Augenblick der Verblüffung, denn wann ruft schon mal Uli Hoeneß bei einem an?
Die Pause, die er macht, ist ein ganz zentraler Punkt in seinem Drehbuch. Hoeneß spielt mit diesem Augenblick. Er reizt und kostet ihn aus. Die Pause ist mehr als nur eine Kunstpause, sie ist ein Moment des Triumphs, eine Rampe, die er ganz bewusst aufbaut, um abzuwarten, ob der Gegenüber ihr gewachsen ist – oder ob er hinunterstürzt.
Hoeneß lässt die Begrüßung also so lange für sich stehen, bis sie unter die Haut gegangen ist, dann sagt er: „Sie haben mir diesen Brief geschrieben, deshalb wollte ich mich bei Ihnen melden.“
„Ach Herr Hoeneß!“ Ich tue so, als wäre ich überrascht und nur deshalb überfordert: „Das freut mich aber, dass Sie anrufen. Genau, ich habe Ihnen ein Fax geschickt.“ Ich versuche jetzt, so souverän zu wirken, als telefoniere ich mit meiner Krankenkasse oder meinem Fußballkollegen. Das verlangt mir deutlich weniger ab, als ich vorher gedacht hätte, weil Hoeneß gleich wieder das Wort ergreift und mir erklärt, was er von Podcasts hält. Das war ja der Anlass für mein Fax: Ich wollte mit meinem Podcast-Team mit Uli Hoeneß aufzeichnen. Mit ihm über sein Lebenswerk sprechen, über den FC Bayern, über seine Zeit im Gefängnis. Über all das, was war – und über das, was sein wird.
Deshalb habe ich Uli Hoeneß kontaktiert, deshalb habe ich 90 Cent für ein Fax gezahlt. Voller Hoffnung, Erwartung und Spannung. Ich habe mir das alles ja schon längst ausgemalt: wie wir in seinem Wohnzimmer am Tegernsee sitzen und eine Wurst aus der Metzgerei Hoeneß verdrücken. Wie wir stundenlang über Fußball sprechen und ich wenigstens ein bisschen was verstehe. So soll es sein, doch Uli Hoeneß, der Geburtshelfer des FC Bayern, hat andere Pläne. Er habe bislang nur einen einzigen Podcast aufgezeichnet, in aller Regel mache er sowas nicht, und überhaupt, sagt Hoeneß: Er sei jetzt ja schon 71, da wolle er sich allmählich aus der Öffentlichkeit zurückziehen: „Deswegen, Herr Leisgang, muss ich Ihre Anfrage leider ablehnen.“
Das Gespräch dauert etwa 90 Sekunden. 90 Sekunden für 90 Cent. Am Ende steht eine Absage, aber das macht nichts. Ich bin nicht traurig. Es ist in Ordnung. Von nun an telefoniere ich eben wieder mit meiner Krankenkasse.